Vom Sinn und den Aufgaben
des Ortsvereins Loschwitz-Wachwitz

Auszüge der Rede von Wolfram Steude zum Jubiläum des Ortsvereins Loschwitz-Wachwitz e. V. am 22. Oktober 2001

Ein schöner Anlass hatte uns zusammengeführt: das zehnjährige Bestehen des 1991 neubegründeten Ortsvereins, dessen Vorgänger, der »Loschwitzer Ortsverein«, 1948 dem allgemeinen Vereinsverbot, das auf Druck der sowjetischen Besatzungsmacht erlassen wurde, zum Opfer gefallen war. Was lag bei einem solchen Anlass näher, als die bisherige Leistung des Vereins zu resümieren, den gegenwärtigen Stand sich bewusst zu machen und Gedanken für die Zukunft zu bewegen!

Von alledem soll im folgenden etwas anklingen, aber der Hauptakzent meiner Ausführungen lag auf Erwägungen grundsätzlicher Art: Welchen Sinn hat eigentlich ein Heimatverein – und unser Ortsverein ist in diese Kategorie einzuordnen – , was kann er bewirken, wo aber liegen seine Grenzen?

Bei manchem sträubt sich bei der Kennzeichnung des Ortsvereins als eines Heimatvereins das Gefieder, suggeriert das Wort möglicherweise doch solche Begriffe wie »Vereinsmeierei« und »Heimattümelei«. In unserem Falle bleibt eine solche Begriffsverengung, bleibt ein solcher auf das Klein-Kleine gerichteter Geist von vornherein ausgeschlossen. Wenn unsere beiden Orte partiell auch noch Dorfcharakter haben – Viele kennen immerhin Viele –, so ist eine dörfliche Enge des Horizonts, die bei manchem Heimatverein vielleicht sogar naturgegeben herrscht, nie unsere Gefahr gewesen.

Heimatliebe ist durchaus ein starker Motor für die Arbeit eines Ortsvereins seit je, aber der Horizont muss weit sein. Und das fällt uns nicht schwer, haben wir es doch auf vielen Ebenen unserer Vereinsarbeit mit Menschen, mit Kunst und Wissenschaft, mit Handwerk, mit kommunalen Fragen und dergleichen zu tun, die weit über unsere Ortsgrenzen hinausweisen.

Ein Ortsverein heute muss höheren Ansprüchen genügen, als es Orts- und Heimatvereine in der Vergangenheit notwendig hatten: Er muss in allem, was er plant, tut, anregt, reflektiert, soweit kompetent sein, dass er von all den Partnern, mit denen er in der Diskussion steht, ernstgenommen werden kann: von staatlichen und städtischen Behörden, von den Kirchen, von Parteien, von anderen Vereinen, von der die Öffentlichkeit repräsentierenden seriösen Presse.

In Einzelfragen kann ein solcher Verein, dessen Votum Gewicht haben soll, sich erst nach gründlicher Kenntnisnahme der betreffenden Problematik äußern. Was wir immer wieder erleben, ist folgendes: Das bislang Gewohnte wird zur Richtschnur unserer Meinungsbildung, Neues wird allzu leicht verurteilt – nur, weil wir es nicht gewöhnt sind.

Wir Loschwitzer und Wachwitzer sind, natürlich mit einem gewissen Recht, stolz auf unsere Orte, auf ihre Natur und Lage, auch auf ihre Bauten. Das soll uns aber nicht blind machen! Nicht alles, was »alt« ist, ist auch gut und erhaltenswert. Und bei weitem nicht alles Neue und Ungewohnte ist abzulehnen. Bürgerproteste gegen den Abriss von verwahrlosten Häusern des 19. Jahrhunderts dürfen erst dann erfolgen, wenn klar ist, dass es sich dabei tatsächlich um wertvolle Bauten handelt. Und Proteste gegen Neubauten bedürfen der stichhaltigen Begründung. Auch manche Loschwitzer Villa aus den Gründerjahren nach 1870 ist ein Monstrum an Hässlichkeit, obwohl sie 130 Jahre alt ist. Die Auseinandersetzung mit solchen Fragen erfordert das Sachwissen und die Urteilsfähigkeit von Fachleuten.

Nicht verschwiegen sei allerdings, dass die hochnotwendige und grundsätzlich voll zu bejahende Denkmalpflege nicht selten in der Gefahr ist, über ihr vorgegebenes Ziel hinauszuschießen, lebenshindernd statt lebensfördernd zu sein. Die Frage nach den Kriterien eines »Denkmals«, nach der »Denkmalwürdigkeit« eines Baues und vor allem nach der Vereinbarkeit von »Denkmal« und gegenwärtiger Nutzung ist aufs Neue aufgeworfen und sorgt zur Zeit für lebhafte Diskussion.

Wäre bei der alten Arztstation im Brockhaus-Grundstück aus den Jahren um 1812 die Wachsamkeit der Bürger vorhanden gewesen und ihr Protest, der in solch einem Falle auch in der DDR möglich gewesen wäre, sich laut artikuliert hätte, wären wir heute um ein Dokument der Napoleonischen Zeit reicher. Bürger und Denkmalschutz haben damals versagt. Andererseits: Wenn wir Fotos von Loschwitz und Wachwitz um 1900 genau ansehen, werden wir entdecken, dass unser Hang ungleich weniger mit Bäumen bestanden war, als heute – eine Folge des damals erloschenen Weinbaus.

Wenn wir heute um jeden Baum, den wir fällen wollen, mit dem Grünflächenamt kämpfen müssen, obwohl er uns beispielsweise den Blick von der Höhe oder das Licht in den Räumen nimmt, dann schießt der gleichfalls grundsätzlich notwendige Naturschutz übers Ziel. Es gilt immer abzuwägen, und das ist oft schwer. An diesen beiden Beispielen, denen weitere angeschlossen werden könnten, soll verdeutlicht werden, dass auch unser Verein wie jeder andere auf die aktive Mitarbeit von Fachleuten verschiedener Fachgebiete angewiesen ist. Lebendiges Bürgerinteresse und geschulter Fachverstand sollten Hand in Hand gehen.

Dasselbe Grundproblem des Verhältnisses von engagiertem Interesse des den Verein bildenden Normalmitgliedes und speziellem Wissen des Fachmanns, das sich in jedem Heimatverein stellt, ist zumindest in früherer Zeit allzu oft brennend geworden. Heimatliebe und Sachinteresse haben vor allem im 19. und frühen 20. Jahrhundert immer wieder den Lehrer, den Kantor, den Pfarrer des Ortes bewogen, die Geschichte des Ortes, seine Geologie, seine Botanik, seine Topografie usw. aufzuarbeiten und darzustellen.

Bemühungen dieserart haben und hatten grundsätzlich ihren hohen Wert. Derartige engagierte Laienarbeit bildet nicht selten bis zum heutigen Tag die unverzichtbare Grundlage zu jeglicher fachlicher Weiterarbeit, macht diese aber nun in keiner Weise überflüssig. Im Gegenteil: Der Nichtfachmann ist zuweilen nicht in der Lage, Wesentliches von Peripherem zu unterscheiden und kommt dadurch zu falschen Bewertungen. Er erliegt schneller als der Fachmann der Versuchung, Hypothesen, Annahmen, Vermutungen für Tatsachen zu nehmen.

Ein Musterbeispiel dafür haben wir im eigenen Ort: Die Legende, dass die Loschwitzer Kirche eine Art Modell für die wesentlich später erbaute Dresdner Frauenkirche gewesen sei, geht auf eine wann und wo auch immer entstandene Laienweisheit zurück, die sich über viele Generationen am Ort gehalten hat und erst jetzt allmählich einer besseren Einsicht Platz macht. Legenden zu zerstören ist immer ein langwieriges und mühsames Geschäft.

Ein anderes ortseigenes Beispiel für geschichtliche Laienarbeit, die ohne die korrigierende Hand des Fachmanns weniger wert ist, als sie es sein könnte, bildet die grundsätzlich verdienstvolle Broschüre des Oberlehrers Theodor Leuschner von 1928 »Loschwitz und seine Denkwürdigkeiten«, die im Auftrag des Ortsvereins Loschwitz erarbeitet wurde, jedoch in einigen Details ungenaue bis falsche Auskünfte gibt.

Seien wir aber nicht päpstlicher als der Papst: Irrtümer schleichen sich immer und überall in Publikationen ein. Ein hübscher Kalauer aus dem Verlagswesen lautet: Jedes gute Buch sollte mit seiner verbesserten zweiten Auflage beginnen. Auch unsere beiden Bände »Künstler am Elbhang« und »Wachwitz-Chronik« sind, so sorgfältig sie auch erarbeitet wurden, nicht frei von derartigen Schwächen. Ich weiß aus eigener Erfahrung mit meinen Büchern, was man mit Bestürzung wahrnimmt, wenn das Buch gedruckt vorliegt.

Angewandt auf unser Fernziel eines Elbhang-Museums heißt das: Das zu etablierende Museum kann nicht mehr, wie das alte 1934 eröffnete Loschwitzer Ortsmuseum, von Museums-Laien eingerichtet werden, sondern seine Gestaltung müssen von vornherein Fachleute, also ein museumserfahrener Architekt und ein Team von Ausstellungsmachern, Kunstwissenschaftlern, Volkskundlern etc. und Museologen besorgen – und solche haben wir derzeit mehrere im Ort. Mögen sich unsere Hoffnungen auf ein einzurichtendes »Elbhang-Museum« nicht als Illusionen erweisen!

Haben wir im Bisherigen Grundsatzfragen eines Ortsvereins anzusprechen versucht, so bleibt noch, über unsere konkreten Möglichkeiten in der Zukunft zu sprechen.

Jeder Organismus, der lebt, wächst. Das gilt im übertragenen Sinne nicht nur für die Wirtschaft, sondern auch für jede sinnvolle, aktive Vereinsarbeit. Quantitatives Wachstum der Mitgliederzahl und Intensivierung unserer Arbeit muss vorrangiges Ziel unseres Vereins sein. Wir haben bei weitem noch nicht alle diejenigen in unseren beiden Orten erreicht, die ihrem Beruf, ihren Fähigkeiten und ihrer Einstellung nach unsere Ortsvereinsarbeit bereichern, beleben, aktivieren können. Gewiss: zahlreiche unserer geistig lebendigen Mitbürger sind notwendigerweise Individualisten, die sich ungern in eine sie möglicherweise einengende Vereinsbindung begeben möchten.

Das wäre verständlich, wenn es sich um die schon angesprochene „Vereinsmeierei“ alten Stils handelte. Aber hier geht es um sachorientiertes produktives Mitdenken und Mittun. Das ist etwas anderes. Je kleiner das Häuflein der aktiven Mitglieder ist, desto weniger können wir unseren Lebensraum mitgestalten. Der »Ortsverein Loschwitz-Wachwitz e. V.« wirbt um neue Mitglieder, um sich den in der Zukunft anstehenden Aufgaben intensiver widmen zu können.

Zur Vereinsarbeit im Einzelnen

Archiv

Nach der Wiederbegründung des Vereins mussten wir uns mit einem kleinen Raum im ehemaligen Gemeindehaus der Loschwitzer Kirchgemeinde behelfen, bis wir am 1. April 1998 den gut geeigneten Raum in der Pillnitzer Landstraße 32 beziehen konnten.

Aus solcher Archivarbeit erwuchsen interessante, durch den Ortsverein veranstaltete Ausstellungen, z. B. diejenige über das Geschäftsleben am Körnerplatz und in dessen unmittelbarer Umgebung. Unterlagen zu namhaften Persönlichkeiten unserer Orte werden genauso gesammelt wie zu Gebäuden und Grundstücken, zu Einrichtungen aller Art, z. B. der Geschichte des Gaststättenwesens unserer Gegend in einem Zeitraum von über hundert Jahren. Der Aufbau des Archivs erfolgt in enger Kooperation mit dem Archiv des benachbarten Pillnitzer Ortsvereins.

Bibliothek

Vorrangig gesammelt werden Bücher und Schriften zur Geschichte und Gegenwart unserer beiden Orte und der Landschaft, in der sie liegen – desgleichen Gedrucktes und Ungedrucktes von und zu einzelnen Persönlichkeiten, die hier gelebt haben oder hier noch wirken. Die Bibliothek wächst langsam, die dafür zur Verfügung stehenden Mittel sind gering und wir sind auf Schenkungen angewiesen.

Petitionen

Eine grundlegend wichtige Aufgabe als Ortsverein sehen wir in der demokratischen Einmischung in öffentliche Belange: Stellung-nahmen im Sachstreit um neue Häuser, um den Straßenzustand, um denkmalpflegerische Belange, um Landschafts- und Naturschutz und dergleichen.

Wir, eine Plattform unter mehreren für die Stimme der Bürgerschaft, sehen es für unsere Pflicht an, den natürlicherweise immer wieder entstehenden Tendenzen von undurchschaubarem Administrieren durch Einmischung, gegebenenfalls Widerspruch und Streit Grenzen zu setzen, also eine Moderatorenfunktion zu erfüllen, wie sie z. B. in dem Eckpunktepapier »Grüne Initiative zur Stärkung des Denkmalschutzes« vom September 2001 angeregt wird.

Kürzlich verfasste der Vorstand des Vereins eine Petition an alle einschlägigen staatlichen und städtischen Behörden, den ehemaligen Königlichen Weinberg Wachwitz betreffend (ELBHANG KURIER 11/2001).

Elbhang-Gespräche

Neben den jährlichen Hauptversammlungen des Vereins haben wir seit etwa zwei Jahren die »Elbhang-Gespräche« eingerichtet, Vortragsabende mit jeweils allgemein interessierenden Themen. In den bisherigen Vorträgen sind vor allem Themen aus unserer Orts- oder Landschaftsgeschichte zur Sprache gekommen. Das ist wichtig und soll auch fortgesetzt werden. Aber in gleichem Maße sollte unsere Gegenwart Inhalt unserer Gesprächsabende sein: Loschwitz und Wachwitz waren nicht nur in den letzten etwa 150 Jahren bevorzugte Wohnorte von Künstlern, sondern sie sind es in gleichem, vielleicht noch höherem Maße heute.

Wir wollen uns aber nicht auf Künstler beschränken: Wissenschaftler, Politiker, Vertreter technischer und anderer Berufe sollten nach und nach zu Wort kommen.

Elbhangfest

Die alljährlich stattfindenden Elbhangfeste haben seit Beginn auf die Mitarbeit von Mitgliedern unseres Ortsvereins rechnen können, die anlässlich des Wachwitzer Ortsjubiläums im vergangenen Jahr besonders hoch war. Es ist der Wunsch zahlloser Menschen, dass diese Festtradition erhalten bleibt, aber sie wird nur erhalten bleiben, wenn sie sich wandlungsfähig zeigt. Die Feinheit und kulturelle Höhe des Festcharakters der ersten Jahre sollte, aller Ausuferung zum Trotz, Maßstab bleiben!

Veröffentlichungen

Wer hätte vor zehn Jahren für möglich gehalten, dass der Ortsverein Loschwitz-Wachwitz in kurzem Abstand zwei so gute und informative Bücher herausbringen würde wie 1999 den ersten Band »Künstler am Dresdner Elbhang« und im Jahre 2000 »Wachwitz – Geschichte eines Fischer- und Weindorfes«? Es sei hier noch einmal betont, dass die Verfasser und Beiträger eine sehr große Arbeit geleistet haben aus purem Enthusiasmus, ohne einen Pfennig dafür zu erhalten.

Geplant für die kommenden Jahre ist die Fortsetzung der »Künstler am Dresdner Elbhang«, mit vielen neuen Personalartikeln in Erweiterung des erfassten Wohngebiets auf Bühlau. Ferner ist an eine dem Wachwitz-Buch ähnliche Loschwitz-Chronik gedacht, die die Arbeit des alten Loschwitzer Chronisten Friedrich Wilhelm Pohle fortführen soll. Wir ließen den Gedanken an eine berichtigte und ergänzte Neuauflage der Pohle-Chronik fallen.

Ich selbst trage mich mit dem Gedanken, die Erinnerungen meines Großvaters, des Loschwitzer Architekten Martin Pietzsch, die viel Lesenswertes aus »Alt-Loschwitz« und »Alt-Blasewitz«, aber auch »Alt-Dresdnisches« anschaulich und nachdenklich bieten, zu redigieren und herauszugeben.

Elbhang-Museum

Eines unserer ganz wichtigen und großen Zukunftsprojekte, zu dessen Realisierung trotz vielfacher Bemühung unsererseits bis jetzt kein Anfang gemacht werden konnte, ist die Etablierung eines »Elbhang-Museums«, das, unter Betonung der am Elbhang betriebenen Künste, die Natur und Kultur unserer Region in Geschichte und Gegenwart reflektieren soll.

Es fehlt das geeignete Gebäude bzw. es fehlen die Mittel, es zu erwerben, instandzusetzen, einzurichten und zu betreiben. Und dennoch: Unsere Elbhangregion als eine Landschaft, deren Eigenart in Geschichte und Gegenwart weit über den üblichen Bedeutungsrahmen hinausweist, ruft geradezu nach einem solchen musealen Spiegel ihrer selbst.

Ein weiterer Wunsch – auch er bewegt sich grundsätzlich nicht im Wolkenkuckucksheim – wird in der Nachfrage nach einem kommunalen Gemeindehaus laut: Das ehemalige Kirchgemeindehaus in der Grundstraße würde sich dafür gut eignen. Insbesondere hätten wir mit den beiden Sälen dringend benötigte Räume für öffentliche Veranstaltungen wie solche des Ortsvereins, für Konzerte und Vorträge, Einwohnerversammlungen und -feste und dergleichen.

Alle derartigen Konzeptionen hängen in hohem Grade davon ab, ob sie nicht nur von privaten Sponsoren ermöglicht, sondern auch durch öffentliche Mittel finanziell mitgetragen werden. Und dies wird in zunehmendem Maße schwieriger, wie wir alle wissen.

Dennoch: Unser Fazit der letzten zehn Jahre und unser Ausblick auf die kommende Zeit sind uns, bei aller gebotenen Nüchternheit, ermutigender Ansporn.

Wolfram Steude